Menü
Verantwortung

Länger frisch

James Rogers fragte sich: Können wir Lebensmittel mit einer essbaren, rein pflanzlichen Hülle schützen? Und entwickelte "Apeel": die Lösung, mit der Obst und Gemüse länger haltbar bleibt, Plastik aus den Regalen verschwindet, weniger im Müll landet – und mehr Menschen genug zu essen haben. EDEKA bringt als deutscher Partner die ersten Avocados und Zitrusfrüchte, die länger frisch sind, in den Markt. Im Interview mit der EDEKA handelsrundschau erzählt uns James Rogers, CEO und Gründer von Apeel Sciences, wie es zu dieser bahnbrechenden Innovation gekommen ist.

Herr Rogers, wie kamen Sie auf die Idee, Lebensmittel mit einer pflanzlichen Hülle zu beschichten und zu schützen?

James Rogers: Ich fuhr in Kalifornien durchs Salinas-Tal, sah links und rechts die grünen Felder – und hörte in einem Podcast, dass jeder neunte Mensch Hunger leidet. Ich fragte mich: Wie ist das möglich? Und je mehr ich mich damit beschäftigte, wurde mir klar: Wir produzieren genug, um jeden zu ernähren. Das Problem ist vielmehr: Wie bekommen wir Obst und Gemüse von dort, wo es erzeugt wird, frisch zum Verbraucher? Denn auf dem Weg verdirbt ein Teil der Ware.

Was brachte Sie auf die Lösung?

Rogers: Ich erinnerte mich an mein Grundstudium, an Metallkunde. Denn Stahl rostet, eine Schicht aus Chromoxid kann ihn aber schützen – und verwandelt ihn in rostfreien Edelstahl. Ich fragte mich: Kann man im übertragenen Sinne auch Obst und Gemüse mit einer Schutzschicht länger haltbar machen?

Naturwissenschaften haben James Rogers schon immer fasziniert. Um mit diesem Wissen »sehr viel nachhaltig zu verändern«. Als er an der Universität von Santa Barbara für seine Doktorarbeit forschte, stellte er sich die Frage: Was wäre, wenn Obst und Gemüse mit einer rein pflanzlichen Hülle länger frisch bleibt? Mit der Idee gründete er ein Start-up. Heute führt er als CEO von "Apeel Sciences" mehr als 200 Mitarbeiter, unterstützt von hochkarätigen Investoren wie der Bill & Melinda Gates Foundation.

Sie haben all diese Fragen aber nicht allein gelöst?

Rogers: Ich habe mich mit Jenny Du und Louis Perez zusammengetan – wie ich damals Doktoranden in Santa Barbara. Und wir richteten in einer Garage ein Labor ein.

Und Sie gründeten "Apeel", ihr Unternehmen?

Rogers: Der Name dafür kam mir freitagabends zu Hause: "Apeel Sciences" – von "peel" wie Schale. Als eingetragenes Unternehmen konnten wir uns dann um Fördergelder bewerben – unter anderem bei der Bill & Melinda Gates Foundation.

Für welchen konkreten Forschungsansatz?

Rogers: Unser Ausgangspunkt war folgender: Legt man eine Erdbeere und eine Zitrone nebeneinander, verdirbt die Erdbeere innerhalb weniger Tage, während die Zitrone deutlich länger hält. Also fragten wir uns: Aus welchen unterschiedlichen Materialien bestehen die Oberflächen ihrer Schalen? Wir waren überrascht, dass es die gleichen sind! Wir vermuteten, dass die Moleküle nur anders angeordnet sind – das war der Fall.

Wie ging’s dann weiter?

Rogers: Wir überlegten, was wir von der Zitrone lernen können, um es bei der Erdbeere anzuwenden. Lassen Sie mich es so erklären: Die Zitrone ist fester, die Erdbeere weicher. Wenn wir die gleichen Materialien verwenden, die Zitrone und Erdbeere außen schützen, die Moleküle auf der Erdbeerschale aber so anordnen, dass sie der Struktur auf der Zitronenschale ähneln, dann verhält sich die Erdbeere mehr wie eine Zitrone.

Also hängt alles von der Anordnung der Moleküle ab?

Rogers: Genau. Ich benutze gerne den Vergleich mit einem Alphabet. Wir identifizieren die Anordnung der einzelnen Moleküle, wie die Natur sie vorgibt. Aus diesen Buchstaben wählen wir einzelne aus und ordnen sie zu neuen Wörtern – je nachdem, welche Schaleneigenschaft wir verstärken wollen.

Mit welchem Ziel?

Rogers: Die Früchte bleiben länger haltbar, weil durch die kleine extra Hülle weniger Wasser verdunstet und von außen weniger Sauerstoff in sie eindringt. Sie schafft so – abgestimmt auf die natürlichen Schaleneigenschaften – in jeder Frucht ein optimales Mikroklima, lässt sie weiter atmen und reifen, nur eben langsamer.

Andere Anbieter behaupten, das Gleiche zu tun?

Rogers: Es gibt außer unserem Ansatz nur zwei Möglichkeiten: Entweder man trägt Wachs auf die Früchte auf – oder ein synthetisch hergestelltes Zuckerderivat. Das ist aber ein chemisch hergestelltes, also kein natürliches Produkt.

Wer profitiert davon?

Rogers: Die gesamte Wertschöpfungskette. Angefangen beim Erzeuger, der zum Beispiel Tomaten näher am optimalen Reifezeitpunkt ernten kann, weil sie mit »Apeel« ein längeres »shelf life« haben. Und auch der Transport wird einfacher: Spargel zum Beispiel muss in Zukunft nicht mehr von Südamerika nach Europa geflogen werden, sondern kommt per Schiff. Das spart Kosten und CO2-Emissionen.

Innovative Technologie: Jedes Jahr werden in Deutschland mehr als zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel entsorgt, über die Hälfte davon in privaten Haushalten. Darum baut der EDEKA-Verbund sein Engagement gegen Lebensmittelverschwendung aus und bietet als deutscher Partner von "Apeel Sciences" die ersten Avocados und Zitrusfrüchte, die länger frisch sind. Denn das US-Unternehmen hat ein Verfahren entwickelt, das Obst und Gemüse länger haltbar macht: durch eine aus rein pflanzlichen Materialien hergestellte kleine extra Hülle.

Welches Plus sehen Sie für den Handel?

Rogers: Im Groß- und Einzelhandel reduzieren sich die Abschriften. Denn die Früchte haben ein längeres "shelf life" und Kaufleute können sie am POS ganz anders präsentieren: Statt sie nur in der Obst- und Gemüseabteilung anzubieten, wo sie aus der Kühlung kommend auf kurzen Wegen eingeräumt und verkauft werden sollen, können Kaufleute länger frische Avocados auch in der Nähe von Tortilla-Chips zweitplatzieren oder Erdbeeren neben der Tiefkühltruhe mit Eiscreme.

Lässt sich auch Verpackung sparen?

Rogers: Ja, bei allen Früchten, die bisher zum Beispiel noch foliert werden. In den Vereinigten Staaten arbeiten wir mit einem Gurkenerzeuger zusammen. Allein bei diesem einen Erzeuger sehen wir das Potenzial, so viel Plastikfolie einzusparen, dass man damit in einem Jahr siebenmal das Empire State Building umhüllen könnte.

Wie profitieren die Verbraucher?

Rogers: Das sehe ich bei meiner Mutter in Michigan: Sie kauft jetzt Früchte, die dank "Apeel" reifer geerntet worden sind und schmecken, die mehr Nährstoffe haben, länger halten – und nicht mehr so schnell verderben.

Woraus besteht die kleine extra Hülle, mit der Sie Früchte länger haltbar machen?

Rogers: Aus pflanzlichen Ölen, also Lipiden. Wir isolieren diese natürlichen Materialien. Als weißes Pulver werden sie in Wasser gelöst und auf die Schale der Früchte aufgetragen.

Woraus gewinnen Sie die Lipide?

Rogers: Zum Beispiel aus Traubenkernen oder Schalenresten, die beim Keltern als Pressabfälle übrig bleiben – oder in der Saftproduktion.

Verändern Sie "Apeel" von Frucht zu Frucht?

Rogers: Ja, denn je nach Sorte variieren wir das Verhältnis der Inhaltsstoffe zueinander.

Kann man "Apeel" fühlen, riechen, schmecken?

Rogers: Die kleine extra Hülle ist so dünn, dass man sie nicht sehen oder fühlen kann – und auch nicht schmecken. In den USA verwenden wir sie darum bereits für Äpfel, Erdbeeren oder Gurken. Denn "Apeel" ist dort schon für alle Früchte zugelassen – auch für Obst, das man mit Schale isst.

Kann man die Hülle abwaschen?

Rogers: Kann man, muss man aber nicht. Denn die Hülle besteht ja aus Lebensmitteln. Sie ist unsichtbar und verändert auch nicht ihre Farbe, sondern bewahrt die natürliche, reife Farbe jeder Frucht für längere Zeit.

Kann "Apeel" Allergien auslösen?

Rogers: Nein, absolut nicht. Denn es besteht aus Pflanzenölen und enthält keinerlei Proteine, die Allergien auslösen können.

Wie viel länger halten die Früchte?

Rogers: Die meisten haben ein doppelt so langes "shelf life" – ab dem Zeitpunkt, an dem "Apeel" auf die Früchte aufgetragen wurde.

Wie wird »Apeel« aufgetragen, zum Beispiel bei genussreifen EDEKA-Avocados oder Zitrusfrüchten?

Rogers: "Apeel" ist ein weißes Pulver. Mit unserem Partner EDEKA wählen wir die Erzeuger aus, zu denen wir das Pulver liefern. Und beauftragen einen Mitarbeiter direkt vor Ort im Herkunftsland, das Pulver in Wasser aufzulösen und auf die Früchte aufzutragen.

Und wie passiert das genau?

Rogers: Das hängt vom Packhaus ab. Wir können die Wasserlösung mit "Apeel" auf die Früchte sprühen, bürsten oder sie darin eintauchen. Der gemeinsame Nenner ist: die Früchte damit zu befeuchten und dann zu trocknen.

Ersetzt »Apeel« – bei Zitrusfrüchten zum Beispiel – die Wachsschicht?

Rogers: So ist es. Darum sehen wir eine Zukunft, in der Verbraucher keine gewachsten Früchte mehr kaufen, sondern Obst, das auf natürliche Weise länger haltbar ist. Und es gibt noch einen zweiten Vorteil: Wir können auf Überzugsmittel verzichten, die bisher zusätzlich zum Wachs auf der Schale zum Beispiel das Pilzwachstum hemmen. Denn wenn die Früchte dank »Apeel« länger ihre eigene Feuchtigkeit bewahren und weniger oxidativen Stress erfahren, müssen wir solche Stoffe nicht mehr verwenden.

Wenn wir erklären, dass wir Nahrungsmittel verwenden, um Nahrungsmittel haltbarer zu machen, finden Verbraucher das sehr positiv.

James Rogers

CEO Apeel Sciences

Bei EDEKA starten Sie mit Avocados – warum?

Rogers: Für die Suche nach dem optimalen Reife­zeitpunkt gibt es bei uns zu Hause einen Running Gag: Noch nicht … noch nicht … vielleicht … zu spät. Jeder hat das schon mal erlebt – und die Avocado weggeschmissen. Gerade hier können wir Verbrauchern mit "Apeel" ein besseres Genusserlebnis bieten, weil die Avocado länger frisch bleibt.

Und wie reagieren Verbraucher auf die extra Hülle?

Rogers: Wenn wir erklären, dass wir Nahrungsmittel verwenden, um Nahrungsmittel haltbarer zu machen, finden Verbraucher das sehr positiv.

Aber "Apeel" ist auch erklärungsbedürftig?

Rogers: Ja – darum müssen wir kommunizieren, welche Vorteile die kleine extra Hülle hat. Zum Beispiel, dass die Avocado länger frisch bleibt und so weniger Lebensmittel verderben und weggeworfen werden. Oder dass die Frucht zum optimalen Reifezeitpunkt geerntet werden kann und so besser schmeckt. Über Instore-Marketing erklären wir, wie wir das hinbekommen: zum Beispiel mit Regal-Wobblern, Displays oder Verkostungen.

Warum arbeiten Sie auf dem deutschen Markt mit EDEKA zusammen?

Rogers: Ich habe selbst gesehen, wofür EDEKA sich beim Einkauf einsetzt: Auf der einen Seite für bessere Qualitäten zu fairen Endverbraucherpreisen. Auf der anderen Seite versetzt EDEKA aber auch Erzeuger in die Lage, ihre Früchte verantwortungsvoll anzubauen. Das unterscheidet EDEKA sehr deutlich.

Das vollständige Interview erschien in der EDEKA handelsrundschau 05/2020.